Unser Konsum hat einen enormen Einfluss
Interview mit Prof. Dr. Lucia Reisch, Professorin für interkulturelle Konsumforschung und europäische Verbraucherpolitik an der Copenhagen Business School und Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung.
Wir wollen die Erderwärmung stoppen, Hunger und Armut besiegen – wir wollen eine nachhaltige Welt. Der Nachhaltige Warenkorb leistet seit dem Jahr 2003 mit Tipps und Informationen zu nachhaltigem Konsum seinen Beitrag dazu. Das wird er auch in Zukunft tun, herausgegeben wird er dabei nicht mehr vom Rat für Nachhaltige Entwicklung, sondern von RENN.süd, im Namen der Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien. Dies nehmen wir zum Anlass, um mit Prof. Lucia Reisch über die Rolle von Konsumentinnen und Konsumenten, Wirtschaft und Politik zu sprechen und um Bilanz zu ziehen.
Frau Professorin Reisch, die Welt soll nachhaltiger werden – das ist ein großes Vorhaben. Wie viel können Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich bewegen?
Sehr viel! Unser Konsum hat einen enormen Einfluss. Er ist für ungefähr ein Drittel des Ressourcen- und Energieverbrauchs direkt verantwortlich. Der indirekte Verbrauch ist da noch gar nicht eingerechnet – zum Beispiel das Wasser, das für die Herstellung von Produkten benötigt wird. Heute wissen wir, dass besonders Rindfleischkonsum, Flugreisen, Heizung und Kühlung negativ ins Gewicht fallen. Wer nachhaltiger leben will, kann zum Beispiel hier ansetzen. Die Menschen wissen das und entscheiden anders. Es gab zum Beispiel noch nie so viele Veganerinnen und Veganer wie heute und auch das Phänomen der Flugscham ist neu. Außerdem sind wir alle auch Wählerinnen und Wähler. Unser Engagement in der politischen Diskussion bewegt etwas, das zeigen zum Beispiel die „Fridays for Future“. Je mehr Menschen sich für Nachhaltigkeit einsetzen, umso mehr Druck entsteht auf politische Entscheidungen.
Als einzelner Mensch hat man trotzdem oft das Gefühl, wenig verändern zu können. Manche versuchen es deshalb erst gar nicht. Was kann man dagegen tun?
Keiner verändert sein Leben von heute auf morgen. Suchen Sie sich zuerst einen Bereich aus, der Ihnen am Herzen liegt. Bei meinen Studierenden ist das zum Beispiel die nachhaltige Mode. Überlegen Sie sich dann, ob Ihr persönliches Nachhaltigkeitsziel alltagstauglich ist – sonst halten Sie nicht durch. Am besten, Sie setzen Ihr Ziel gemeinsam mit Freunden, der Familie oder Nachbarn um. Es gibt auch Plattformen, auf denen man sich mit Gleichgesinnten austauschen und gegenseitig bestärken kann. Die Formel zu einem nachhaltigeren Leben heißt: Make it easy, attractive, social and timely. Tun Sie etwas, das leicht und alltagstauglich ist. Tun Sie etwas, das Ihnen wichtig ist und Spaß macht. Setzen Sie Ihr Ziel gemeinsam mit anderen um und wählen Sie den richtigen Zeitpunkt dafür. Ein guter Moment für eine Veränderung ist zum Beispiel, wenn Sie in eine andere Stadt ziehen und Ihr Leben ohnehin umstellen. Wieso nicht gleich anfangen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren? Und holen Sie sich Feedback! Dieses bekommt man zum Beispiel über Apps, die gefahrene Fahrradkilometer oder gelaufene Schritte zählen. Das motiviert und zeigt, was Sie geschafft haben.
Welche Bedeutung hat nachhaltiger Konsum in der aktuellen Debatte um Klimaschutz und Artenvielfalt?
Lange Zeit stand in der öffentlichen Diskussion nur die Produktionsseite „am Pranger“. Das hat sich verändert. Heute sind sich die Konsumentinnen und Konsumenten bewusst, dass auch Ihre Entscheidungen Auswirkungen haben. Wer das Klima schützen will und ein Auto braucht, kauft einen emissionsarmen Wagen, keinen SUV. Wenn die meistgekauften Autos hochmotorisierte SUVs sind, gibt es einfach viele Menschen, die sie haben wollen – die Autos werden nicht gewaltsam von den Firmen in den Markt gedrückt. Konsumentscheidungen spielen immer eine Rolle, auch in der Artenvielfalt. Will man sie unterstützen, dann kauft man bio, weil hier anders als in der konventionellen Landwirtschaft kein Glyphosat verwendet wird.
Bio kaufen, Ökostrom beziehen, nicht mehr fliegen. Wie viel kann man den Menschen zumuten? Ist nicht auch die Politik gefragt?
Es gibt Bereiche, in denen sich die Menschen unter einer zumutbaren Belastung für nachhaltige Alternativen entscheiden können. Für Haushalte mit einem höheren Einkommen ist das meistens leichter, zum Beispiel wenn es darum geht, Bio-Lebensmittel zu kaufen. In anderen Sektoren wie der Energieversorgung muss man sehen, ob man Geld umschichten kann. Zum Bespiel kann man für Haushalte mit niedrigerem Einkommen die Heizkosten subventionieren und so erneuerbare Wärme für sie bezahlbar machen. Das ist dann Aufgabe der Politik. Sie muss Rahmenbedingungen schaffen – und zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr auch auf dem Land ausbauen. Hier darf die Politik das Vertrauen der Menschen nicht verspielen. Sie denken sich sonst: Wieso soll ich etwas verändern, wenn die da oben es nicht schaffen?
Apropos politische Entscheidungen: Müssen umweltschädliche Produkte aus den Regalen verschwinden?
Produktverbote lösen oft Entrüstungsstürme aus, auch wenn man die Dinge eigentlich gar nicht braucht. Das sieht man zum Beispiel an den Trinkhalmen aus Plastik. Wer braucht so was? Und trotzdem regen sich Leute über das Verbot auf. Wenn kleine, alltägliche Bequemlichkeiten wegfallen, finden wir das schrecklich, auch wenn wir sie nicht brauchen. Der Mensch wird immer wütend, wenn ihm etwas verboten, also weggenommen wird. Das ist normal. Es gibt schlauere Wege als Verbote, die die Politik einschlagen kann. Sie kann zum Beispiel Mindeststandards setzen. In Japan wird immer die marktführende Technologie zum Mindeststandard erhoben. Was schlechter ist, darf nicht mehr verkauft werden. Wenn wir dieses Prinzip nutzen, entfernen wir Produkte, die ökologisch und sozial nicht nachhaltig sind, automatsch aus den Regalen, ohne sie zu verbieten. Ich sehe hier auch die Wirtschaft in der Verantwortung. In Dänemark haben wir zum Beispiel einen Händler, der Thunfischdosen aus den Regalen genommen hat – weil man nicht garantieren kann, dass der Inhalt wirklich nachhaltig und delfinfrei gefangen wurde. Die Wirtschaft sollte immer mit ins Boot geholt werden, auch von der Politik.
Der Nachhaltige Warenkorb unterstützt die Menschen seit 2003 mit Tipps und Infos zu nachhaltigem Konsum. Was hat sich seitdem verändert?
Es hat sich viel verändert: 2003 war nachhaltiger Konsum noch ein absolutes Nischenthema. Heute ist es ein Thema, das die breite Öffentlichkeit beschäftigt. Vieles hat sich bewegt, angefangen bei den „Fridays for Future“ bis hin zum Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum der Bundesregierung. Ich kenne kein anderes Land als Deutschland, das so eine Strategie hat. Auch wenn sie kritisiert wird – es gibt sie. Wir sind international ein Vorbild. Was wir tun, reicht noch nicht, und es ist wichtig, dass wir weitermachen. Aber wir haben schon große Fortschritte gemacht.