Das Kunststoff-Dilemma
Professor Dr. Wolfgang Rommel lehrt seit 2000 an der Hochschule Augsburg Umwelt- und Verfahrenstechnik. Für uns beantwortet er als Experte für Kunststoffe die Frage: Wie gehen wir in der Zukunft mit Plastik um und wie müssen Wirtschaft und Verbraucherinnen und Verbraucher sich verändern für einen nachhaltigen Umgang mit Plastik?
Plastik ist eine Erfolgsgeschichte. In der eigentlich kurzen Zeitspanne seit Ende des 2. Weltkriegs hat es enorm an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2021 wurden weltweit knapp 391 Mio. Tonnen fossil basierte Kunststoffe produziert. Ohne Kunststoffe ist unsere moderne Welt unvorstellbar. Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem Plastik keine Rolle spielt. Ohne Kunststoffe gäbe es kein Internet, keine Elektromobilität, keine Windturbine und so weiter.
Aber das Material ist ambivalent: einerseits technologisch unverzichtbar, andererseits verursacht es eine massive Belastung, wenn es an der falschen Stelle eingesetzt wird. Mit einem weltweiten Anteil von etwa 44% von dominieren kurzlebige Verpackungen die Kunststoffanwendungen. Besonders problematisch sind Kunststoffe dann, wenn sie unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Von den oben genannten 301 Mio. Tonnen wurden nämlich lediglich etwa 32,5 Mio. Tonnen rezykliert, also nur etwas mehr als 10% der in den Umlauf gebrachten Menge.
Wir setzen leider Kunststoffe auch da ein, wo es eigentlich unnötig wäre und wir gehen zum Teil viel zu sorglos damit um. Eine kürzlich in Science publizierte Studie schätzt, dass 2016 zwischen 9 und 23 Millionen Tonnen Plastik in die Gewässer und in etwa die gleiche Menge in die Ökosysteme an Land eingetragen wurden, teils direkt als Mikroplastik, z. B. durch Reifenabrieb, teils als Makroplastik, das durch Degradation auf die Dauer ebenfalls großenteils zu Mikroplastik wird. Trotz aller Maßnahmen und dem steigenden Bewusstsein immer mehr Menschen, nehmen die Mengen eher zu als ab. Die Auswirkungen sind ausgesprochen schädlich für unsere Umwelt.
Trotzdem ist „plastic-bashing“ fehl am Platz. Richtig eingesetzt sind Kunststoffe prädestiniert für Zirkularität. Dies ist auch kein Plädoyer gegen Kunststoffverpackungen. Verpackungen sind nämlich kein Selbstzweck, sondern sie schützen Produkte und machen sie erst transportfähig. Wir sollten also stets Verpackung und Produkt als eine Einheit gemeinsam betrachten. Der Vergleich Mineralwasserflasche aus Plastik beziehungsweise aus Glas greift ökobilanziell gesehen viel zu kurz. Wir sollten vielmehr die Frage stellen, ob es überhaupt Mineralwasser in Flaschen braucht und warum wir stattdessen nicht einfach Leitungswasser trinken. Andererseits können Plastikverpackungen zum Beispiel Lebensmittel vor dem Verderben schützen und Lebensmittelabfälle zu reduzieren helfen.
Wir brauchen dafür geeignete Kunststoffe, dürfen sie nur dort einsetzen, wo sie tatsächlich Nutzen stiften, müssen die daraus erzeugten Produkte kreislauffähig machen („Design for Recycling“) und flächendeckende Kreislaufsysteme etablieren. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Politik und Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Alle Daten aus: Plastics Europe 2022: Plastic – the facts 2022