Braucht es neues Wissen und „Innovationen“ am Lebensmittelmarkt?
Ein Gastbeitrag von Jörg Reuter, Geschäftsführer der Artprojekt Nature & Nutrition, konzipiert dort das Großprojekt Food Campus Berlin und entwickelt aus der ältesten Fischerei Brandenburgs das Naturgut Köllnitz inkl. Farm to-table-Restaurant.
Jörg Reuter hat mit Anfang 20 Schafe in den Pyrenäen gemolken und Bio-Gemüse angebaut. Ein einschneidendes Erlebnis mit Möhren brachte ihn dazu Spaten gegen Laptop zu tauschen und Strategieberater für Foodunternehmen zu werden. Zu seinen Kunden gehörten in den letzten 20 Jahren große Handelsunternehmen, ebenso wie internationale Markenhersteller und Bio-Produzenten. Seit Anfang 2021 ist er Geschäftsführer der Artprojekt Nature & Nutrition, konzipiert dort den Food Campus Berlin und entwickelt aus der ältesten Fischerei Brandenburgs das Naturgut Köllnitz inkl. Farm to-table-Restaurant. Jörg Reuter brennt für gute Lebensmittel und betreibt seit 2013 außerdem das Feinkostgeschäft „Vom Einfachen das Gute“ in Berlin Mitte.
Die Antwort ist eindeutig: ja. Essen ist leider (aus Umweltsicht) und zum Glück (aus kultureller Sicht) keine reine Vernunftveranstaltung. Unsere heutige Ernährungsweise hat einen hohen, negativen Einfluss auf die sogenannten planetaren Belastungsgrenzen. So werden Lebensmittel für 30% der globalen Treibhausgase und zu 70% für die Verluste der Biologischen Vielfalt verantwortlich gemacht. Der Klimawandel muss abgebremst und das Artensterben gestoppt werden. Beides wird nur möglich sein, wenn wir unsere Speisepläne überdenken und unser Essverhalten ändern.
Unser Wissen über die Klimawirkung unserer Ernährung ist bereits sehr ausgeprägt. Zumindest auf wissenschaftlicher Ebene. Auf Ebene der Konsument:innen ist zum größten Teil nicht bekannt, welchen Einfluss unsere Ernährung auf den Klimawandel hat. In der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt sind die dramatischen Auswirkungen unseres Essens auf das Artensterben.
Vorhandenes wissenschaftliche Wissen muss dringend in gesellschaftliches Wissen umgewandelt werden. Hier sind alle Akteur:innen der Lebensmittelproduktion vom Feld bis zum Tisch mit einzubeziehen. Damit Kund:innen im Rahmen ihrer Warenkörbe verantwortlich handeln können, brauchen wir ein sog. Metalabel. Ein Label, das mehrere Nachhaltigkeitsdimensionen abdeckt und einfach verstehbar abbildet. Erste gute Ansätze gibt es hier mit dem Eco-Score und dem Planet-Score. Beide nutzen Ampelfarben und eine fünfstufige Scala. Diese Metalabels machen jedoch nur Sinn, wenn sie auf einem Großteil der Produkte zu finden sein werden.
Neben den Metalabeln, die vor allem Produkte einer Warengruppe miteinander vergleichbar machen, muss das Wissen darüber in die Breite getragen werden, dass gerade Produkte tierischer Herkunft in der Regel eine schlechtere Umweltbilanz haben als Produkte pflanzlicher Herkunft. Und hier kommt das Thema Innovationen ins Spiel: Da Menschen relativ träge darin sind ihr Ernährungsverhalten zu ändern, sind Innovationen willkommen, die es erlauben die grundsätzliche Ernährung beizubehalten aber mit besseren Produkten. Damit sind wir im Segment der sog. Ersatzprodukte. Ein Segment, dass sich in den letzten Jahren mit zunehmender Dynamik entwickelt und in der Zukunft noch spektakuläre Lösungen bereithalten wird. Werfen wir einen Blick auf das Milchregal. Während noch vor wenigen Jahren hier ausschließlich Kuhmilch unterschiedlicher Molkereien zu finden war, treffen wir heute dort auf Hafermilch, Erbsenmilch, Sojamilch, Reismilch und Mandelmilch.
Eine ähnliche Entwicklung können wir nun im Bereich der pflanzliche Fleisch- und Wurstersatzprodukte beobachten. Auch pflanzliche Eiersatzprodukte drängen bereits auf den Markt. Als nächste große Innovationswelle werden wir in den nächsten 5 bis 10 Jahren Produkte aus sog. „zellularer Landwirtschaft“ erleben. Das sind Produkte, die in Bioreaktoren heranwachsen und auf der Basis von Mikroben oder Zellen gewonnen werden. Bioreaktor klingt für viele erst einmal ungewohnt, aber auch Braukessel in einer Brauerei sind im Grunde eine Art von Bioreaktoren. Diese Produkt-Innovationen aus zellulärer Landwirtschaft werden eine große Rolle dabei spielen unsere Warenkörbe nachhaltiger zu gestalten. In der Zielvision sind diese sowohl bezüglich Preis, als auch bezüglich Geschmack gleichwertig zu klassischen tierischen Produkten, haben aber eine bessere Umweltbilanz.
Zum Thema:
Gastbeitrag von Mark Leinemann