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Es heißt „mindestens haltbar bis“, nicht „sicher tödlich ab“

Raphael Fellmer ist Mitgründer der Plattform foodsharing.de und Geschäftsführer des Berliner Startups SirPlus, welches sich für die Rettung großer Mengen überschüssiger Lebensmittel einsetzt.

Inwiefern ist Lebensmittelverschwendung politisch?

Fellmer: Lebensmittelverschwendung ist das Ergebnis fehlender Wertschätzung unserer Mittel zum Leben. Als Supermarktgeneration haben wir es verlernt, den Bezug zu Lebensmitteln zu halten: Zu erkennen, wann welches Gemüse auf das Feld kommt oder welche Ressourcen- und welcher Kraftaufwand mit der Aufzucht eines Tieres verbunden sind: das ist Wissen, über das nur noch wenige Menschen verfügen. Dieses Unwissen zieht sich auch weiter in unser Kaufverhalten hinein. Konsument*innen vertrauen auf ein Datum, das ihnen sagen möchte, bis wann ein Lebensmittel haltbar ist. Dabei gibt dieses Datum gar nicht an, ab wann das Lebensmittel nicht mehr genießbar oder sogar gefährlich ist. Eine rechtliche Regelung, wie genau ein solches Datum zu ermitteln ist, also ab wann ein Lebensmittel wirklich nicht mehr verzehrfähig ist, gibt es nicht. Klare Regelungen in Bezug auf das Mindesthaltbarkeitsdatum können und sollten staatlich angegangen werden.

Am einfachsten ist es, wenn man das Thema schon im Kindergarten und der Schule angeht. Eine Implementierung schulischer Bildung in Bezug auf die Lebensmittelwertschätzung muss durch eine Anpassung der (praktischen) Lerninhalte erfolgen. Sie ist der erste Schritt für eine Zukunft ohne Lebensmittelverschwendung.

Auch wenn es um die Normen verschiedenster Gemüse- und Obstsorten geht, ist Lebensmittelverschwendung politisch. Würden bestimmte Schönheitsideale abgeschafft und der Druck großer Konzerne auf den Weltmarkt untersagt, würde dies eine spürbare Änderung der Verschwendung im großen Maße bewirken.

Was kann jede und jeder Einzelne jetzt schon tun, um weniger Lebensmittel zu verschwenden?

Fellmer: Mit jedem Einkauf kannst Du etwas ändern: Als Konsument*in kannst Du einiges bewegen. Was Du kaufst und was nicht, ist ganz allein Deine Entscheidung. Werden Lebensmittel zu Ladenhütern, ist dies immer auch ein Feedback an die Produzierenden, die ihr Angebot an der Absatzmenge orientieren. Nutze also Deinen Einfluss und positioniere Dich klar für bestimmte Lebensmittel, die Du mit einem guten Gewissen kaufen kannst. Tierische Lebensmittel brauchen zum Beispiel bis zu zehnmal mehr Land, Wasser und Ressourcen. Deswegen sind pflanzliche Lebensmittel in der Regel deutlich umweltschonender.

Oftmals ist es vielen Menschen nicht bewusst, dass sie aufgrund von Routinehandlungen eine Unmenge an Lebensmittelabfällen verursachen. Sei ein Vorbild und spreche mit möglichst vielen Menschen über dieses Thema.

Inwieweit hat die Rettung von Lebensmitteln Ihr eigenes Leben bereichert?

Fellmer: Die Rettung von Lebensmitteln hat mich in vielerlei Hinsicht bereichert. Besonders die Tatsache, dass wir mit unseren jetzigen Ressourcen und den Lebensmitteln die Menschheit vier Mal ernähren könnten, spornt mich an aktiv zu werden. Ich finde es unglaublich, wie das Lebensmittelretten Menschen verbindet (bspw. Foodsharing mit 40.000 Savern, Tausende Kunden bei uns in den Rettermärkten). Somit merke ich, dass das Thema nicht nur mein Herz, sondern das von Millionen Menschen bewegt.