Für das Recht, nicht auf Kosten Anderer zu leben!
Katharina Ebinger ist Politikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten sozial-ökologische Transformation, Transformative Forschung, Beteiligung und Mitbestimmung.
Katharina Ebinger ist Politikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten sozial-ökologische Transformation, Transformative Forschung, Beteiligung und Mitbestimmung. Für den BUND hat sie die Broschüre „Ein gutes Leben für alle! Eine Einführung in Suffizienz“, die dazugehörige Sketchnote und das Argumentarium „Mehr Lebensqualität – Weniger Ressourcenverbrauch: Argumente für Suffizienz“ mitverfasst. Minimalismus bedeutet für sie das Recht, nicht auf Kosten Anderer zu leben und die Freiheit, sich dem zu widmen, was einem wirklich etwas bedeutet.
Minimalismus bedeutet für mich persönlich, mich immer wieder auf das für mich Wesentliche zu fokussieren und Konsumentscheidungen möglichst bewusst zu treffen, Qualität und Handwerk wertzuschätzen. Nun ist es aber leider so, dass die Anreize von außen, z.B. durch Werbung, Statussymbole (auch die nachhaltige Jeans ist in bestimmten Bezugsgruppen eines!) und Kompensation, fast immer in eine andere Richtung gehen. Davon bin ich nicht frei, und deshalb finde ich die Fokussierung auf individuelle Lebensstile von „Durchschnittsmenschen“ und deren Moralisierung schwierig (Ausnahme: Sehr wohlhabende Menschen, Oxfam vermeldete „Das reichste 1 Prozent schädigt das Klima doppelt so stark wie die ärmere Hälfte der Welt[1]“). Die Politikwissenschaftlerin Uta von Winterfeld bringt dies mit dem Diktum „Niemand soll immer mehr haben wollen müssen“ treffend auf den Punkt. Lasst uns deshalb einen Blick auf die Rahmenbedingungen werfen!
Lebensstile sind nämlich immer integriert in eine gesellschaftliche Lebensweise. Infrastrukturen wie z.B. Autobahnen und Kohlekraftwerke, Alltagspraxen, Wissen und Wünsche wie z.B. die Digitalisierung, Institutionen wie die EZB und Freihandelsabkommen, und Scheinlösungen wie technologische Effizienz schaffen einen gesellschaftlichen Rahmen, in dem wir mehr oder weniger individuelle Stellschrauben bedienen können. Das Konzept der „Imperialen Lebensweise“ (Brand & Wissen 2017) fasst diesen Rahmen, in dem wir uns gegenwärtig bewegen, anschaulich zusammen: Die Lebensweise im globalen Norden und zunehmend auch im globalen Süden basiert zum einen auf der Ausbeutung von Arbeit und Biosphäre. Sie ist exklusiv, und steht nur einem Bruchteil der Weltbevölkerung offen. Außerdem funktioniert sie lediglich durch Auslagerungen von Kosten auf andere in Raum (intragenerationelle Gerechtigkeit) und Zeit (Intergenerationelle Gerechtigkeit). Diese Lebensweise führt dazu, dass auch „minimalistisch“ lebende Menschen im globalen Norden einen viel zu hohen ökologischen Fußabdruck haben[2].
Damit wir nicht weiterhin in der imperialen Lebensweise gefangen sind, braucht es im globalen Norden eine Suffizienzpolitik (Schneidewind & Zahrnt 2013), die allen Menschen ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen ermöglicht. Ein gutes Leben und ein gerechtes Leben gehören zusammen. „Grünes Wachstum“ ist eine Scheinlösung, die diesem Ziel wie auch den Klimazielen nicht gerecht wird, wies jüngst auch eine Studie der Europäischen Umweltagentur (EEA) nach[3]. Wohlstand ist so viel mehr als Konsum, und dies sollte sich auch in der Politik widerspiegeln. Konkret bedeutet dies, dass eine aktive Politik der sozial-ökologischen Transformation betrieben wird: Ordnungspolitik für Infrastrukturen, Streichung umweltschädlicher Subventionen, Orientierung an neuen Wohlstandsindikatoren, Gestalten von Lebensbereichen wie Wohnen, Mobilität und Ernährung und Ermöglichen einer solidarischen Lebensweise durch Bildungs-, Arbeits- und Gesundheitspolitik.
Zusammengefasst:
- Ein minimalistischer Lebensstil im Sinne einer Konsumreduktion und eines bewussten Konsumierens ist besonders sinnvoll, wenn man auf die Effektivität der Maßnahmen achtet[4]
- Nur ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel, der den Rahmen innerhalb dessen wir leben, arbeiten, konsumieren verändert, ermöglicht ein gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen
- Sich für politisches und gesellschaftliches Engagement Zeit und Energie zu nehmen ist deshalb wichtiger, als den eigenen Lebensstil bis ins Detail zu optimieren
Zum Weiterlesen (frei verfügbar bis auf Brand & Wissen)
Ulrich Brand, Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. https://www.oekom.de/buch/imperiale-lebensweise-9783865818430
I.L.A. Kollektiv (Hrsg.)(2017): Auf Kosten Anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert Gutes Leben für alle. https://www.oekom.de/buch/auf-kosten-anderer-9783960060253
I.L.A. Kollektiv (Hrsg.)(2019): Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise. https://www.oekom.de/buch/das-gute-leben-fuer-alle-9783962380953
Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt (2013): Damit gutes Leben einfacher wird. Perspektiven einer Suffizienzpolitik. https://www.oekom.de/buch/damit-gutes-leben-einfacher-wird-9783865814418
[1] https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/klimawandel-ungleichheit-reichste-1-prozent-schaedigt-klima-doppelt-so-stark
[2] https://www.umweltbundesamt.de/themen/erdueberlastungstag-deutschland-lebt-auf-kosten
[3] https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/zum-mythos-des-gruenen-wachstums/
[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/big-points-klimafreundliche-konsumentscheidungen