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Braucht es neues Wissen und „Innovationen“ am Lebensmittelmarkt?

Ein Gastbeitrag von Mark Leinemann, CoFounder und Präsident von crowdfoods.

Mark Leinemann ist Mitgründer und Präsident von crowdfoods – dem Verband der Innovatoren und Startup aus den Bereichen Lebensmittel, Landwirtschaft, HORECA und Foodhandel. Hauptberuflich zählt er als MR. WOM seit 2010 zu den führenden Experten für Earned Media, Word of Mouth (WOM) und Customer made Marketing im deutschsprachigen Raum. Ende 2022 gründete Mark Leinemann zusammen mit anderen Expert*innen aus dem Food-, Startup- und Innovationsbereich die New Food Farm, welche als Agentur und Beratung Innovationen von Startups und Unternehmen entlang der Nahrungsmittelwertkette begleitet und umsetzt.

In den letzten 4 Jahren gab es eine wahre Flut an Innovationen im Lebensmittelmarkt, speziell im Bereich nachhaltiger und veganer Produkte. An der Lebensmittelfachmesse Anuga 2019 wurde dies erstmals richtig sichtbar mit ersten neuen veganen Fleisch- und Milchalternativen, die bald danach auch im Supermarkt erhältlich waren. Möglich gemacht haben dies neues Wissen und Methoden aus der Lebensmitteltechnologie, aber auch ein stärkeres Konsumenteninteresse für mehr Nachhaltigkeit sowie die Lust an Neuem und der Vielfalt im Lebensmittelregal. 

Laut einer Studie des Lebensmittelverbandes schätzen die Deutschen ein vielfältiges Lebensmittelangebot und 58% kaufen aus Neugier auch gerne neue Produkte. Ältere Studien bestätigen dies – bereits 2021 war Neugier mit 43% einer der 3 wichtigsten Gründe für den Kauf neuer und unbekannter Produkte.

Neugier ist mit 73% neben u.a. der Nachhaltigkeit auch der wichtigste Faktor beim Kauf von vegetarischen oder veganen Alternativen zu tierischen Produkten, wie der neueste Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zeigt.

Kein Wunder also, dass der Handel mit Startup-Regal-Programmen wie dem Edeka Foodstarter-Programm, der Startup Lounge von REWE Süd oder dem Voila Programm von Markant neue und innovative Produkte in seinem Sortiment fördert und auch sein Sortiment im Bereich veganer und nachhaltiger Eigenmarken stark ausbaut, wie es etwa Lidl tut; denn der Supermarktkunde liebt Nachhaltigkeit, Abwechslung und Neues.

Bei Fleisch- und Milchalternativen sind Geschmack und auch ein identisches Erlebnis bei Textur und Gaumengefühl nach wie vor die wichtigsten Faktoren für den Erfolg. Hinzukommen Menge der Zutaten und Inhaltsstoffe, Nachhaltigkeit und auch der Nährwert.

Spätestens an der Anuga 2021 wurde aus dem Trend „New Food“ ein Boom. Neben zahllosen Fleisch- und Milchalternativen tauchten auch Fischalternativen auf. Zudem präsentierten sich viele herkömmliche Produktkategorien mit neuen Produkten im nachhaltigeren und gesünderen Gewand oder als Functional Food.

Allerdings besteht bei vielen der sogenannten „New Food“ Produkte oftmals noch Optimierungsbedarf: Functional oder Healthy Food ist oft zwar gesund, schmeckt aber nicht immer. Nachhaltigere Lebensmittel sind zwar klimafreundlicher, aber meist auch sehr teuer und wenig massenmarkttauglich. Vegane Alternativen sind nicht immer auch klimafreundlicher oder besser im Nährwert. Auch die teils ellenlangen Zutatenlisten schrecken Verbraucher ab und nur wenige Fleischersatz-Produkte sind wirklich „clean“. Fleischalternativen sind speziell in punkto Textur und Bisserlebnis noch nicht identisch mit echtem Fleisch.

Darum sind auch weiteres Wissen und neue Technologien – wie etwa die Präzisionsfermentation über Bioreaktoren – notwendig, um die Lebensmittel-Alternativen weiter zu entwickeln und zu verbessern.

Die Anuga 2023 zeigte hier, dass die Lebensmitteltechnologie sich von 2019 bis 2023 rasant weiterentwickelt hat. Erstmals wurden zugelassene vegane Produkte aus dem Bioreaktor präsentiert, die aus einer Zutat – reinem Pflanzenprotein auf Basis von fermentierten Pilzen – bestehen und beliebig zu veganem Fleisch, Fisch oder Ei und Mayonnaise weiterverarbeitet werden können. Auch deutsche Startups sind hier vorne mit dabei.

Zwar waren die neuen Laborfleisch- und Milch-Produkte, die als echtes Fleisch – cultivated meat genannt – im Bioreaktor gezüchtet werden, auf der Anuga 2023 noch nicht verfügbar, aber die Anzahl der Marktzulassungen steigt auch hier: 2021 wurde „cultivated chicken“ zuerst in Singapur zum Verkauf zugelassen, in Israel darf Milch ohne Kühe aus dem Labor seit 2023 verkauft werden und in den USA und auch der EU wurden erste Zulassungen für ähnliche Produkte beantragt.

Der Fortschritt bei der Technologie hilft dabei in mehrfacher Hinsicht:

Die neuen veganen Alternativen werden noch besser bzw. identisch zu ihren tierischen Originalen – ob nun beim Nährwert, dem Geschmack, der Textur oder der Nachhaltigkeit.

Die Wachstumszellen, aus denen in Bioreaktoren vegane oder auch fleischliche Produkte gezüchtet werden, können mit Abfallresten aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft „gefüttert“ werden. Food- und auch Agrar-Waste kann so in einer echten Kreislaufwirtschaft im großen Stil weiterverarbeitet werden.

Dies alles hilft dem Klimaschutz: Weniger Nutztiere sind besser fürs Klima. Aber auch im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels sind diese neuen Technologien und Innovationen wichtig: Wenn durch zunehmende Dürren oder Überflutungen Agrarflächen für Futtermittel oder Weiden wegfallen und durch Meereserwärmung Fischbestände zurückgehen, werden tierische Lebensmittel massiv teurer werden oder zukünftig gar nicht mehr in Masse verfügbar sein. Dank Food-Bioreaktoren wird es jedoch Ersatz geben – was für die Ernährung von bald 10 Milliarden Menschen auf dem Planeten auch dringend nötig sein wird.


Zum Thema:

Gastbeitrag von Jörg Reuter

Text „Food Innovations – Was tut sich?“

Infografik „Nachhaltige Proteine im Fokus“